Gilbert Mieroph, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Susanne Weckerle, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
Susanne Weckerle, Andreas Guglielmetti, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
Susanne Weckerle, Stephan Weber, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
Jürgen Herold, Susanne Weckerle, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
Susanne Weckerle, Gilbert Mieroph, Andreas Guglielmetti, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
Gilbert Mieroph, Susanne Weckerle, Stephan Weber, Jürgen Herold, Sabine Weithöner, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz

Die kahle Sängerin

Anti-Stück von Eugène Ionesco


Schwarzwälder Bote, 23. Juni 2021

Komödiantisch-schönes Theater voller Vitalität

(von Christoph Holbein)

Ionescos »Die kahle Sängerin« in Tübingen ist rundum gelungen.

 

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Schwäbisches Tagblatt, 21. Juni 2021

Was im Wohnzimmer passiert

(von Dorothee Hermann)

Die kahle Sängerin“ beweist am Landestheater Tübingen, dass das Ionesco-Stück skurrilen Zündstoff für die pandemiestarre Gegenwart bereithält.

 

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Reutlinger General-Anzeiger, 21. Juni 2021

Pendel und Punk

(von Thomas Morawitzky)

In Eugène Ionescos »Die kahle Sängerin« auf der LTT-Hofbühne treiben Logik und Sprache absurde Blüten.

 

Aus Metall scheint die Bühne zu bestehen, die Vinzenz Hegemann für »Die kahle Sängerin« schuf – auf dem Bretterboden vor dieser rostigen Kulisse stehen sechs Stühle; in einem schmalen Durchgang nach hinten schwingt ein übergroßes Pendel hin und her, ein Teekännchen steht auf einem alten Ofen, dessen Abdeckung lose herabhängt. Und sie treten auf: Mr. und Mrs. Smith, Gilbert Mieroph und Andreas Guglielmetti, sind plötzlich da und bringen den Punk mit, schreien als ausgeflippte Bürger dem Publikum das »No Future« der Sex Pistols ins Gesicht, kreischen was von englischen Sesseln, Living Rooms, englischen Pfeifen, aggressiv, böse und heiter.


Die Uhr hinter der Kulisse schlägt viele Male. Gleich werden die Smiths zurückkehren auf die Bühne, in ganz anderer Fasson. Sie bewegen sich trippelnd, robbend, hüpfen voran, in einer Parodie gesitteter Bürgerlichkeit, vor allem aber, weil sie statt Schuhen quadratische Filzlappen tragen, groß wie Fußmatten, die ihnen nichts anderes gestatten. Mieroph trägt eine vergilbte Zeitung am ausgestreckten Arm mit sich herum; Guglielmetti steckt in einem jener haferschleimfarbenen Kostüme für Damen aus besseren Verhältnissen, macht, zwischen zwei leuchtenden Ohrringen, eine große weiße Einkaufstasche vor sich hertragend, das rechte Gesicht dazu.


Das seltsame Paar hat sehr gut gegessen: »Weil wir in der Umgebung von Looondon wohnen und weil unser Name Smith ist.« Es nimmt mit großem Abstand voneinander Platz; sie redet von Öl und Kartoffeln, er lässt ein halbmenschliches Knirschen hören, den Arm noch immer krampfhaft ausgestreckt. Man gibt Banalitäten von sich, man macht Konversation, alles ohne Sinn, alles immer wieder. »Mein kleines Brathühnchen, warum spuckst du Feuer?«


Immer wieder mal schlägt auch die Uhr, die Zeit vergeht, Menschen sterben (»Er war der schönste Leichnam von Großbritannien … Und wie fröhlich er war!«), ganze Familien tragen denselben Vornamen (Bobby), und Joghurt, ganz wichtig, ist gut für die Apotheose, also die Verherrlichung eines Sterblichen zum Gott oder Halbgott.
Das Dienstmädchen Mary, gespielt von Jürgen Herold, viel zu groß und wenig feminin, erscheint und tanzt mit der Uhr, sabbert, kreischt und kichert, erbricht Milch, oder Joghurt. Später wird es seinen Dienstherren ein schmutziges Ständchen singen: »This Is Not A Love Song.«

 
Zum Tee, der nicht getrunken wird, kommen Mr. und Mrs. Martin, erst mit US-amerikanischen, dann mit französischem Akzent – jüngere Duplikate von Mr. und Mrs. Smith, sie im selben Kostüm, er in derselben Weste, nur mit Brille. Susanne Weckerle und Sabine Weithöner spielen dieses Paar. »Should I Stay Or Should I Go« – das ist ihr Song.
Wenig später wird es an der Tür klingeln, Mrs. Smith wird mehrfach auf ihren Filzmatten dorthin schleichen und niemanden finden. Dann steht plötzlich der Feuerwehrhauptmann (Stephan Weber) im Raum, in leuchtend blauer Uniform, mit einem silberglänzenden Helm auf dem Kopf, nichts als Fleiß und Freude im Gesicht, schaut erst noch am Pendel vorbei, ehe er ganz hereintritt – ein sensationeller Auftritt, der das Publikum gleich auflachen lässt.

 
Eugène Ionesco, ein Begründer des Absurden Theaters, schrieb »Die kahle Sängerin« 1950; aufgeführt wurde das Stück noch vor Becketts »Warten auf Godot«, bis heute ist es ein moderner Klassiker, der schiere Sinnlosigkeit und Sprachakrobatik in unwahrscheinliche Höhen schraubt. Dass Zuschauer sein Stück zum Schreien komisch fanden – sie tun es noch – soll Ionesco sehr verwundert haben, denn »Die kahle Sängerin« war nach seiner Intention ein Stück, das Sinnverlust und ausgehöhlte Sprache ausstellte.

 
Das hatten bestimmt auch die Punks im Sinn, rund zweieinhalb Jahrzehnte später. Thorsten Weckherlin als Regisseur hat Ionesco die Sex Pistols, The Clash und PIL aufgesetzt, und das funktioniert hervorragend – die Schauspieler glänzen, als Schauspieler und als Punks. Susanne Weckerle und Sabine Weithöner entdecken, in einem berühmten Dialog, wie zufällig, dass sie verheiratet sind: »Welch ein Zusammenspiel! Wie seltsam!« Und Stephan Weber trägt seine verrückt verzweigte Geschichte vom Schnupfen, in der etliche Figuren und Geschehnisse, Verwandtschaftsverhältnisse auf atemlos unsinnige Weise verknüpft sind, in Tübingen glänzend gleich dreimal nacheinander vor, während sich die Dulder auf der Bühne krümmen und die Zuschauer jubeln.

 
»Die kahle Sängerin« am LTT ist eine großartig befreiende Theatershow. »Und die Moral?« – »Die müssen Sie selber finden.«


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