Bürgerliches Lustspiel von Carl Sternheim
Schwäbische Zeitung, 21. Juni 2018
(von Jürgen Berger)
Er hatte die heuchlerische Moral eines neuen Zeitalters im Blick. Und er war ein genauer Beobachter der gesellschaftlichen Veränderungen rund um die Zeitenwende des vorletzten Jahrhundertwechsels: In Tübingen hat der griechische Schauspieler und Regisseur Akillas Karazissis Sternheims bürgerliches Lustspiel nun inszeniert, als sei es die expressionistische Pilotfolge einer Netflix-Staffel.
Schwarzwälder Bote, 26. Mai 2018
Mutiger Griff in das Füllhorn des Theaters
(von Christoph Holbein)
Inszenierung von Carl Sternheims "Die Hose" präsentiert sich als clowneskes Spektakel
Reutlinger Generalanzeiger, 30. April 2018
(von Kathrin Kipp)
Am LTT wird das bürgerliche Lustspiel "Die Hose" von Carl Sternheim zur grotesken Herrenmenschen-Orgie
Reutlinger Nachrichten, 30. April 2018
Hinter der Maske lauert das Unglück
(von Anja Weiß)
"Die Hose", ein bitterböses bürgerliches Lustspiel von Carl Sternheim, das einst einen handfesten Skandal auslöste, hat am Tübinger LTT Premiere gefeiert.
Frau Maske verliert die Hose, und das mitten auf der Straße, wo es jeder sehen kann. Mit diesem Unglück beginnt das bitterböse, satirische Schauspiel „Die Hose“ von Carl Sternheim. Ein Umstand, der 1911 bei der Uraufführung für einen handfesten Theaterskandal gesorgt hat, erschüttert heute niemanden mehr. Kalt lässt einen die Inszenierung des Stücks aber dennoch nicht. Denn Regisseur Akillas Karazissis hat sie ganz bewusst zeitlos angelegt, sie könnte ebenso in den 1930er spielen wie in unserer Gegenwart. Es sind diese archetypischen Figuren und Typen, die die Zeit überdauern und die darum immer noch Aussagekraft besitzen.
Nehmen wir die Protagonistin Luise Maske, der es nicht gelingt, sich gegen ihren Ehemann zu wehren. Jennifer Kornprobst gibt sie als zerbrechliches Vögelein, mit blond hochtoupiertem Haar und engem Rock. Noch nicht einmal ein Jahr verheiratet, ist sie bereits todunglücklich. Sie putzt sich heraus, kocht, umsorgt ihren Mann, gibt sich ihm, wen auch widerwillig, hin. Dennoch kann sie es ihm, diesem nach vorne braven Beamten mit dem heimlichen Hang zum Sadismus, Patrick Schnicke ist dieser Saubermann mit dunkler Seite, nicht recht machen. Er stellt sie bloß, demütigt sie, verletzt sie. Nach dem Unglück mit der Hose fürchtet er um seine Anstellung, doch stattdessen beschert es ihm unerwartete Einnahmen.
Es melden sich Mieter, die nicht nur auf die Zimmer, sondern auch auf die Hausherrin aus sind, die derart pikant mitten in der Stadt zu sehen gewesen ist. Theobald Maske stört das wenig, er preist seine Gattin an, die Wohngesellschaft mutiert immer mehr zum Tollhaus mit den irrsinnigsten Bewohnern. Denn es ziehen ein: der selbstverliebte Geck Frank Scarron (Daniel Tille), ein Schönling, hinter dem nicht nur die Hausherrin, sondern auch die notgeile Nachbarin her ist: Sabine Weithöner spielt diese alte Jungfer, die letzten Endes mit dem Hausherrn ein Techtelmechtel anfängt. Benjamin Mandelstam (Raphael Westermeier) ist der dritte Mann im Bunde, ein hypochondrischer Psycho, mit dem Luise Maske Mitleid empfindet, der aber von ihrem Mann ebenfalls schikaniert und beleidigt wird.
In der Wohnung wird geschrien und getobt, gekämpft, gesoffen und gewürgt. Hinter der bürgerlichen Fassade treten Abgründe hervor, die auch schon das Bühnenbild erahnen lässt. In grellen Farben sind Seile gespannt, das Ehebett besteht aus Stacheln, die Luise während des Aktes beinahe aufspießen. Am Ende verlässt der Künstler die Wohnung, um mit einer Prostituierten von dannen zu ziehen, Luise zieht sich unter den Tisch zurück, ihr Gatte betrügt sie weiter mit der Nachbarin, die vor seinen Anfeindungen aber auch nicht verschont bleibt.
Carl Sternheim hat 1911 ein bitterböses Stück geschrieben, das bis heute nichts von seinem Witz eingebüßt hat, auch wenn einem das Lachen manchmal fast im Halse stecken bleibt. Denn obwohl die Männer widerwärtig sind, sind es doch Menschen. Da kann durchaus Mitleid aufkommen, wenn der kränkliche Barbier Luise den Honig aus der Hand schleckt wie ein Baby, oder wenn sich alle gemeinsam besaufen, singen, und dann wieder streiten bis zum Eklat. Am ärmsten aber ist Luise, die nach dem Hosenmalheur die schlimme Wahrheit über sich und ihre Ehe erkennen muss, die nur aus Elend besteht. Da bleibt ihr nur eines: kompletter Rückzug und ein wenig Trost aus dem Hit von Zarah Leander: „Nur nicht aus Liebe weinen“.
Schwäbisches Tagblatt, 30. April 2018
Gummitwist für Charaktermasken
(von Wilhelm Triebold)
Tote Hose: Akillas Karazissis verjuxt in der LTT-Werkstatt ein Sternheim-Lustspiel.