Lisan Lantin · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Daniel Holzberg · Foto: Tobias Metz
Mattea Cavic, Lisan Lantin · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Dennis Junge · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Stephan Weber, Rolf Kindermann · Foto: Tobias Metz
Stephan Weber, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Susanne Weckerle, Dennis Junge, Mattea Cavic, Stephan Weber, Lisan Lantin, Rolf Kindermann · Foto: Tobias Metz
Rolf Kindermann, Dennis Junge, Susanne Weckerle · Foto: Tobias Metz
Lisan Lantin, Mattea Cavic · Foto: Tobias Metz
Daniel Holzberg · Foto: Tobias Metz

Die Ehe der Maria Braun

Nach einer Vorlage von Rainer Werner Fassbinder


Schwarzwälder Bote, 26. Februar 2019

„Davon geht die Welt nicht unter“

(von Christoph Holbein)

„Die Ehe der Maria Braun“ am LTT / Zwischen Liebe und Emanzipation

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Reutlinger Nachrichten, 13. Februar 2019

Die verkaufte Frau

(von Christina Hölz)

Der Krieg panzert seine Überlebenden – blutleer bleiben die Kinder des Wirtschaftswunders zurück: Christoph Roos inszeniert „Die Ehe der Maria Braun“ am LTT. Ein Kammerspiel mit eigener Lesart

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Schwäbisches Tagblatt, 11. Februar 2019

Eine Frau, die sich gemacht hat

(von Peter Ertle)

Christoph Roos, Experte für Filmadaptionen, macht am LTT aus dem Drehbuch von Rainer Werner Fassbinders international erfolgreicher Deutschland-Allegorie "Die Ehe der Maria Braun" einen sehr schönen Theaterabend.

Man sieht sie lange, bevor es losgeht auf einer "Leinwand", so gesehen eine kleine Reverenz an den Film: Maria und Hermann, in slow motion, tiefe Blicke, Küsse, like lovers do. Schließlich als Brautpaar, aus der Stiftskirche tretend. Was dann passiert, lassen wir mal genauso aus wie das Ende, man soll dem Zuschauer ja etwas Spannung gönnen.

Sagen wir so: In Fassbinders Film wird das Standesamt bombardiert. Und auch hier liegen bald Trümmer auf der Bühne. Aus denen allmählich eine Großstadtlandschaft mit Bürotürmen emporwächst. Eine genial einfache, sinnbildliche Bühnensprache (Bühne: Peter Scior) für das Nachkriegswirtschaftswunder, das wir nun besichtigen, indem wir eine Figur begleiten.

Maria Braun, gerade noch glückliche Braut, jetzt Trümmerfrau, mit der Suchanzeige ihres im Krieg gebliebenen Hermanns um den Hals, eine Brosche gegen ein Kleid tauschend, mit dem Kleid Arbeit in einer Bar findend. Den Ehering muss sie abnehmen, die Illusionen der Männer sind geschäftsfördernd. Sie selbst bleibt ehrlich, als sie sich in den GI Bill verliebt, macht ihm nichts vor. Heiraten? Nein. Sie wartet auf Hermann.

So hält sie es auch später in ihrer Beziehung zum Industriellen Oswald, aber hier wird sie schon deutlicher, die Problematik einer Frau, die zwischen privat und geschäftlich, zwischen Disziplin und Emotion so zu trennen versucht wie zwischen Jetztverliebtheit und einem aufgeschobenen Eheglück, von dem wir nicht wissen, ob es noch die große Liebe oder nur noch die Erinnerung daran ist, Gefühl gewordene gesellschaftliche Konvention, vielleicht beides, jedenfalls: Festgehaltene Utopie.

Nun sind Instrumentalisierung, Disziplinierung, kaufen und verkaufen, Bereiche trennen können, Emotionen einsetzen das A und O jedes Geschäftslebens. Dass eine Frau es erfolgreich in Anspruch nimmt, macht "Die Ehe der Maria Braun" auch zu einer (letztlich dann doch scheiternden) Emanzipationsgeschichte.

Marias große Illusion ist, zu glauben, dass sie bei alledem souverän und ohne Beschädigung selbst an den Hebeln sitzen kann. Weshalb am Ende auch sehr die Frage ist, ob sie wirklich in erster Linie an der Desillusionierung ihres großen Liebestraums verzweifelt. Oder nicht eher an der Erkenntnis, dass just die beiden von ihr geliebten Männer über sie, die die Fäden in der Hand zu halten glaubte, verfügten. Oder zerbricht sie einfach, weil sie ihre Seele verkauft hat?

Lisan Lantin spielt Maria Braun mit einem treffenden Mix aus Unverstelltheit und einer Berechnung, die im Verlauf des Stücks immer programmatischere Züge annimmt.

Wenn sie ihren Oswald ins Bett lotst, danach aber wieder lieber zum Sie übergeht, wirkt sogar die kokette Verliebtheit in die eigene Frechheit wie spielerischer Überschuss, sexy - obwohl sie auch als Verstörung (ablesbar in Oswalds Gesicht) und überkecke Kaschierung einer Not verstanden werden kann. Da gelangen den Drehbuchschreibern Pea Fröhlich und Peter Märtesheimer (Fassbinder lieferte nur das Exposé und strich dann an der Textfassung) wunderbar ambivalente und mit wenigen Worten verflixt gut geschriebene Sequenzen, die einem Ödon von Horvath zur Ehre gereicht hätten, die man in den Boulevard genauso wie in ein Brechtsches Lehrstück verlängern könnte.

Wenn Lantins Maria erst auf die (fälschliche) Nachricht von Hermanns Tod und dann auf die Nachricht vom Tod ihres späteren Liebhabers Oswald reagiert, meint man im fein nuancierten Schmerz schon die ganze, sich ändernde Beziehungsdynamik zu sehen. Derweil wächst um Maria herum etwas, das der Frankfurter Bankenskyline ähnelt, wird sie zunehmend zu einer genervt kommandierenden Zynikerin.

Die Verwandlung hat ihre Stationen, von Christoph Roos, dem Szenenkopplungsmeister, in Form eleganter Übergänge und harter Cuts präsentiert. Hatte die Liebe zum GI Bill zumindest für den Zuschauer noch jene naivverträumten Züge, die ihr nur die Polizei beim Verhör abspricht, hat Marias gezieltes Aufsuchen des Zugabteils, in dem der reiche Industrielle Oswald sitzt, bereits klar karrieristische Züge: eine Frau will nach oben.

Auch mit welchen Mitteln sie den Verhandlungspartner der amerikanischen Firma zum Geschäftsabschluss bringen will, lässt die Inszenierung im Munkeldunkeln des Szene-Offs. Eins ist klar: Längst instrumentalisiert und verkauft sich Frau Braun. Auch privat ist es mit ihrer Ehrlichkeit nicht mehr so weit her: Von Hermann erzählt sie Oswald lieber nichts. (Kurz vor Oswalds Tod sitzt Maria mit ihm an einer unglaublich langen Tafel, beide an den Kopfenden: Distanz. Manchmal sind Theaterbilder so einfach - und genial.)

Fassbinder selbst hat den bewussten Selbstmord Marias, den seine Drehbuchschreiber vorhatten, zu einem zwischen Unfall und Suizid interpretierbaren Unglück umgeschrieben, die Dialoge für den Film gekürzt und mit interpretierbaren Leerstellen versehen. Regisseur Christoph Roos geht diesen Weg weiter, es gibt eher noch mehr im Vagen Gelassenes. War im Film das Liebesverhältnis mit Oswald nicht offenkundig nahegelegte Einstellungsbedingung des Industriellen? Wir glauben uns zumindest so daran zu erinnern, obwohl wir es genauso hielten wie die Hauptdarstellerin, die den Film vorher explizit nicht mehr anschaute, um frei davon zu sein.

Im LTT jedenfalls ist Karl Oswald zwar sichtlich interessiert an Maria, aber frei von direkten Avancen, ein sehr anständiger, von Rolf Kindermann gewohnt souverän und mit feinsten Regungen gespielter Geschäftsmann. Neben dem Protagonistentrio überzeugen alle anderen Schauspieler in Mehrfachrollen. Mattea Cavic glänzt vor allem als Betti und Frau Ehmke, zwei sehr wiedererkennbare Typen. Andreas Guglielmettis Arzt geht einem zu Herzen, genauso vom Leben gezeichnet wie Daniel Holzbergs Hermann Braun. Ja, wenn man etwas von den Kriegsbeschädigungen sehen möchte, blicke man in die Gesichter des Arztes und des Ehemanns!

Möchte man etwas von den Alltagsbeschädigungen sehen, schaue man hingegen ins Gesicht von Stephan Webers Willi Klenze, wenn er über seine Frau spricht. Susanne Weckerles Mutter und Dennis Junge als ihr Freund stehen für das fröhlich durchwurstelnde Leben zwischendrin. "Davon geht die Welt nicht unter" singt das Ensemble und dass sie das Kind schon schaukeln werden. Die Lieder sind so eingebaut, dass sie keinen gutgelaunten Musicaltouch verbreiten. Überhaupt ist dem Regisseur alles kontrastierend Plakative fern. Wenn Fassbinder sein Paar sterben lässt, während im Radio "Deutschland ist Weltmeister!" dröhnt, ist das ja schon ziemlich dicke. Kommt nicht in Frage im LTT-Kammerton, wo kein Film nachgespielt wird und keine Hollywood-tauglichen Bilder inszeniert werden. Ein klug und dezent in Szene gesetztes Drehbuch, das ist es. Und absolut sehenswert.

 

Unterm Strich

Bei einem Hauptdarstellerpaar aus Lisan Lantin und Rolf Kindermann müsste ein Regisseur viel falsch machen, um die Inszenierung zu ruinieren. Christoph Roos macht im Gegenteil viel richtig, indem er ein genau gebautes, eher zurückhaltendes Kammerspiel inszeniert, in dem alle Schauspieler Raum für die Entfaltung ihrer vielen Rollen bekommen. Tolle Bilder, ein Wahnsinnsauftakt, ein Schluss wie ein Schuss.

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Reutlinger General-Anzeiger, 11. Februar 2019

»Die Ehe der Maria Braun«

(von Monique Cantré)

Das LTT zeigt Rainer Werner Fassbinders Kinoklassiker in einer Bühnenfassung

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