Lisan Lantin, Sabine Weithöner, Rolf Kindermann, Mattea Cavic, Nicolai Gonther, Gilbert Mieroph · Foto: Tobias Metz
Sabine Weithöner, Mattea Cavic, Lisan Lantin, Nicolai Gonther, Rolf Kindermann, Gilbert Mieroph · Foto: Tobias Metz
Sabine Weithöner, Gilbert Mieroph, Mattea Cavic, Rolf Kindermann · Foto: Tobias Metz
Rolf Kindermann, Mattea Cavic, Gilbert Mieroph, Sabine Weithöner, Nicolai Gonther · Foto: Tobias Metz
Rolf Kindermann, Nicolai Gonther · Foto: Tobias Metz
Mattea Cavic, Rolf Kindermann, Gilbert Mieroph, Sabine Weithöner, Nicolai Gonther · Foto: Tobias Metz
Mattea Cavic, Gilbert Mieroph, Rolf Kindermann, Sabine Weithöner, Nicolai Gonther, Lisan Lantin · Foto: Tobias Metz
Sabine Weithöner, Mattea Cavic, Gilbert Mieroph, Nicolai Gonther, Rolf Kindermann, Lisan Lantin · Foto: Tobias Metz
Rolf Kindermann, Sabine Weithöner · Foto: Tobias Metz
Mattea Cavic · Foto: Tobias Metz
Nicolai Gonther, Sabine Weithöner, Rolf Kindermann, Lisan Lantin, Gilbert Mieroph, Mattea Cavic · Foto: Tobias Metz

Die Antigone des Sophokles

Nach der Hölderlinschen Übertragung für die Bühne bearbeitet von Bertolt Brecht


Reutlinger Nachrichten, 5. Oktober 2018

Menschliches Gebärden

(von Kathrin Kipp)

Das LTT bringt den Klassiker "Antigone" in der Fassung von Brecht auf die Bühne

[mehr lesen]


Reutlinger General-Anzeiger, 4. Oktober 2018

Ungehorsam im antiken Zwielicht

(von Thomas Morawitzky)

Juliane Kann inszeniert am LTT Bertolt Brechts Bearbeitung von Sophokles’ Tragödie "Antigone"

[mehr lesen]


Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2018

Moral gegen Machtrausch

(von Peter Ertle)

Kein schicksalhafter Konflikt zweier Prinzipien, sondern Plädoyer für den Widerstand gegen einen Tyrannen: Brechts "Antigone des Sophokles" nach der Hölderlinschen Übersetzung - ästhetisch reduziert, mit guten Akteuren und akustischen Schwächen

Es klingt wie der Bass einer stimulierenden Musik, wie gleichgeschaltete Schritte marschierender Soldaten: Kreon groovt sich ins Bacchusfest ein, aalt sich im Victoryparade-Rave. Religion ist Opium fürs Volk? Brecht macht daraus ein "Macht ist Kokain für die Herrscher". Es reißt auch die Beherrschten mit oder zwingt sie - jedenfalls lange Zeit. Kreons Soldaten marschieren auf Argos zu, sein Volk ist eines aus Untertanen und Mitläufern. Wir sehen sie früh in Form einer lebendigen Skulptur der "Alten". Oder im Exemplar einer recht Jungen, die Ismene heißt und entsetzt ist, dass ihre Schwester gegen das Staatsgesetz verstoßen möchte. So was tut man doch nicht. Und es ist auch viel zu gefährlich.

Was Brecht wiederum mit Hölderlins Sophokles-Fassung tat, tut man auch nicht, die Brecht-Erben würden sich diesen Umgang mit einem Brechtstück verbieten. Aber Hölderlin und Sophokles waren lange genug tot, Brecht ist es noch nicht, (seit 62 Jahren - 70 Jahre nach dem Tod erlöschen Autorenrechte).

Die Entstehungsgeschichte: Brecht kehrt aus dem Exil in den USA zurück, trifft in der Schweiz einen Kollegen aus alten Berliner Tagen, der inzwischen Intendant am Churer Theater ist, ihm sagt, er habe einen Klassikerposten in der nächsten Spielzeit und überlege, Sophokles' "Antigone" zu machen. Brecht ist ein großer Name für das Theater. Und das Theater für Brecht die Chance auf den Wiedereintritt in die deutschsprachige Bühnenwelt.

Er macht dann ein anderes Stück daraus. Hauptdifferenz: Nicht mehr religiöses und staatliches Gesetz treffen schicksalhaft aufeinander. Sondern die Gewaltherrschaft eines Kriegstreibers trifft auf eine Frau, die ihr eigenes moralisches Empfinden anders handeln lässt. In einem einzigen Punkt zunächst nur. Der aber zur Keimzelle wird für sie und schließlich auch für die anderen. Zivilcourage, Vernunft und Menschenfreundlichkeit gegen einen Wüterich. Dass der Stückumschreiber und Regisseur seinen Kreon hitleresk gestaltet, Argos zu Russland/Stalingrad macht (und bei der damaligen Premiere ein Vorspiel sogar ausdrücklich den Bezugzu Hitlerdeutschland herstellte) - man mag es Brecht 1947/48 nicht verdenken.

Man kann heutigen Theaterzuschauern auch nicht verdenken, dass ihnen die Botschaft unterfordernd vorkommt. So unterfordernd wie alle aktuellen Möchtegern-, Halb-, oder Volldiktatoren. Hitler war auch eine riesige Unterforderung. Das war einer seiner Vorteile.

Ein Bote erfährt als erster, was es heißt, von Kreon eventuell als Künder der schlechten Nachricht für das Berichtete haftbar gemacht zu werden, wenn es denn schon nicht mehr als Fake News abgewehrt werden kann. Gilbert Mieroph als Bote liefert da gleich einige fast schon Commedia dell'arte-taugliche oder Shakespeare-närrische Capricen.

Das ist durchgehend ein Zug dieser Inszenierung: Juliane Kann flankiert die hohe klassische Sprache mit betont körpersprachlichem Witz und - vor allem bei Kreon selbst - extrem heutigen, sofort verständlichen und flunkernden Gesten. Kontraste, Brechungen, die das Ferne nahe herholen. Nicht als Ausstattung eines psychologisch fein ausgebildeten Charakters. Sondern als Darstellung eines Typus. Man soll verstehen, wie er tickt.

Die kleinen saloppen Gesten Kreons laufen dabei immer Gefahr, den Herrscher clownesk zu verharmlosen (andererseits: Er ist auch nichts als ein schrecklicher Infant, ein böser Clown) und ihm zu viel Charisma zu verleihen. Das wird aber überwogen von drei Vorteilen: 1) Man versteht den psychologischen Mechanismus der Situation. 2) Man wird unterhalten. 3) Und zwar von Rolf Kindermann. Er macht seine kleinen Nummern zu einem großen Schauspielvergnügen nebenbei - das nebenbei ist hier wichtig.

Doch auch seine Hauptstücke sind großartig, seine Zornausbrüche, sein Insistieren mit leiser, bedächtiger Stimme, wenn er sich Antigone zur Brust nimmt, seine plötzliche Herzlichkeit, der wir mit Recht misstrauen - gleich wird sie in ihr Gegenteil kippen. Kreon ist ein unberechenbarer Explosivstoff. Das einzig Berechenbare ist sein Machtstreben.

So einer braucht eine ganz andere, große Gegenfigur: Schlicht, geradlinig, ohne Spirenzen, eine starke Alltagsheldin. Also damals Helene Weigel. Und heute am LTT, ihre Visitenkarte abgebend: Lisan Lantin, die nie mehr als nötig, aber vor allem nichts falsch macht und das Nötige vorbildlich ausfüllt. Voilà, so kann eine Antigone sein.

Nach und nach macht ihr Beispiel Mut und Schule, um den Herrscher wird es immer einsamer. Zumal auch schlechte Nachrichten von der Front kommen, die Kreons Siegesgeschrei immer schlechter übertönt. Hämon spricht ihm ins Gewissen (Nicolai Gonther, sehr glaubhaft den Sohnesgehorsam der Wahrheit opfernd), und auch Ismene (Mattea Cavic ) will die von ihr verpasste Maxime "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" am letzten Schopf packen, indem sie sich nachträglich als Mittäterin bekennt. Zu spät. Auch die Alten erheben allmählich mahnend ihre Stimme, raten zu Milde und Umkehr.

Was die Regie mit dem Einsatz der Gebärdensprache wollte? Wer weiß. Aber die Körpersprache macht keine schlechte Figur in diesem Umfeld, wo es darum geht, die rechten Zeichen zu verstehen, wo Herz und Hirn eine eigene verschworene Sprache gegen die Propaganda finden müssen. Die Stummheit korrespondiert auch mit der Blindheit des Sehers. Sabine Weithöner verleiht Tiresias eine Milde und Weisheit, an der Kreon nur scheitern kann. Auch als chorischer Gesamtkörper funktionieren die Akteure gut.

Und, witzig: Der V-Effekt liegt als V auf der Bühne, ein aus der Schriftzug-Krone gefallener Zacken, wohltuend unvölkisch auch eine Widmung: "Der Bevölkerung". Sonst nur leerer Raum, helle, transparente Gewänder (Bühne, Kostüme: Vinzenz Gertler), und eine überzeitliche Zusammenarbeit - Sophokles, Hölderlin, Brecht, das ist ja nicht das Schlechteste: Text, Text, Text.

Doch das größte Manko der Inszenierung liegt genau da, hängt mit der Akustik und diese mit der leeren, als offener Denk- und Sprachraum gestalteten Bühne zusammen: Der Text ist stellenweise schlecht zu verstehen. Bühnentechnik, bitte übernehmen!

 Unterm Strich

Eine sehr reduzierte, stark auf Körpersprache setzende Inszenierung, die den hohen klassischen Ton und die damit verbundene Ferne mit einigem Witz und heutigen Gesten in den Nahbereich holt. Die Gegenspieler Kreon und Antigone sind mit Rolf Kindermann und LTT-Novizin Lisan Lantin stark besetzt. Großes Manko: Die Akustik auf der kahlen Bühne: Man versteht teilweise schlecht.


[schliessen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Impressum