Rolf Kindermann, Insa Jebens, Franziska Beyer, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Jonathan Peller, Franziska Beyer, Stephan Weber, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Jonathan Peller, Stephan Weber, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Jonathan Peller, Insa Jebens · Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer, Jonathan Peller, Stephan Weber, Rolf Kindermann, Insa Jebens, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund

Der gute Gott von Manhattan

nach dem Hörspiel von Ingeborg Bachmann · 15+


Schwäbisches Tagblatt, 30. November 2021

Sehnsucht nach der Gegenzeit

(von Peter Ertle)

"Eine feine, ideenreiche, ästhetisch gelungene Inszenierung von Ingeborg Bachmanns Hörspiel."

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GEA, 29. November 2021

Die Liebe, die nicht sein darf in New York

(von Thomas Morawitzky)

"Die Schauspieler des LTT beleben Bachmanns Sprache intensiv, glänzen in ihren Rollen."

Ein Hörspiel kommt auf die Theaterbühne, wird auf ihr als Hörspiel inszeniert: Da steht die Kabine für die Sprecher, da stehen die Mikrofone. Nur ist da auch noch etwas anderes: Eichhörnchen, menschengroß, komisch und zugleich unheimlich. Sie tanzen um die Sprecher, sie tollen herum, spielen ihre Instrumente schrill und kriegerisch. Nager, die jeder possierlich finden will, allgegenwärtig im Manhattan der Ingeborg Bachmann, Agenten eines seltsamen Gottes, der auf dem Durchschnitt beharrt, dem die große Liebe ein Dorn im Auge ist.

»Der gute Gott von Manhattan« ist ein Hörspiel von Bachmann, das 1958 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde; es ist das letzte in einer Reihe, die Bachmann seit 1952 geschrieben hatte. Sie sollte sich auch in ihren weiteren Werken mit dem Scheitern von Beziehungen beschäftigen. 1973 starb die Dichterin, unglücklich und tablettensüchtig, in Rom.

Im Hörspiel sind es Jennifer und Jan. Sie begegnen sich in New York am Bahnhof, sind sich fremd. Jan ist Europäer, Jennifer Amerikanerin. Sie will ihm den Weg weisen, er besucht mit ihr ein Stundenhotel. Eine Liebe entsteht, die höher hinaus will und noch höher. Schließlich lebt das Paar im 57. Stock und schwört sich ewige Treue. Da explodiert die Bombe, geschickt vom guten Gott, der solch eine Abweichung von der Norm nicht dulden kann. Jennifer wird von ihr zerrissen.

Das Stück beginnt mit der Befragung des terrorverdächtigen Gottes durch einen Polizisten – Franziska Beyer ist der Gott im langen, gemusterten Kleid, Stephan Weber der abgeklärte Ordnungshüter. Dann treten Jan und Jennifer auf, Jonathan Peller und Insa Jebens.

All dies sind Sprechrollen, Szenen, die nur aus der Sprache entstehen. Jan und Jennifer sagen sich immer schönere, großartigere, gewagtere Dinge, schreien Liebeszeilen, immer lauter, während die Sprecherkabine zum Karussell wird, das sich rasend dreht, die Sätze sich überlappen, die Musik ein schrilles Crescendo wird. »Ich will dich noch lange lieben.« – »Wie lange?« – »Frag nicht: Wie lange?, sondern sag: So bin ich gerettet!«

Regisseurin Franziska Angerer arbeitete bei diesem theatralen Hörstück eng mit dem Komponisten Arne Gieshoff zusammen. Die Sprache will Liebkosung sein, die Musik bringt Entfremdung. Die Eichhörnchen tragen den Liebenden Briefe zu, spielen Akkordeon und Kontrabass. Rolf Kindermann und Jennifer Kornprobst stecken in diesen Kostümen, entworfen von Marlene Rösch und Valentina Pino Reyes.

Seit Bachmann ihr Hörspiel schrieb, sind 63 Jahre vergangen, in denen Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft sich änderten oder auch nicht, und in denen Leonardo DiCaprio, Jahrgang 1974, angeblich ebenso viele Partnerinnen hatte. Aufzählungen seiner Affären durchbrechen die Szene; die Schauspieler treten auf als Schwarz-Weiß-Projektionen, die sich gegenseitig kämmen oder mit einem Kaktus streicheln. DiCaprio radelt mit seiner jeweiligen Gefährtin durch New York; Jennifer und Jan strolchen durch die Stadt, stehlen Feuerleitern, spielen das Glück: »Auf dem Broadway, unter dem Wasserfall aus Pepsi Cola, neben dem großen Rauchring von Lucky Strike«: Liebe in Zeiten des Konsums. Die Bombe zerreißt nur Jennifer, der gute Gott hat einen Fehler gemacht. Shakespeare hätte das besser hinbekommen.

Die Schauspieler des LTT beleben Bachmanns Sprache intensiv, glänzen in ihren Rollen. »Der gute Gott von Manhattan« stimmt nachdenklich. Der kuriose Abschluss, von Bachmann gewiss nicht vorgesehen: »Neuer Versuch«, sagt eine Schauspielerstimme – und zur Seitentür des Theaters werden zwei Schafe eingelassen, in Fleisch und Blut. Nochmals begegnen sich Mensch und Tier. Die Menschen stehen auf und setzen sich. Blicken sich an oder nicht. Signaltöne dirigieren sie. Die Schafe knabbern am ausgestreuten Futter, mehr kümmert sie nicht.


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