Foto: Martin Sigmund
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Bestätigung

Stück von Chris Thorpe · entwickelt in Zusammenarbeit mit Rachel Chavkin · Deutsch von Katharina Schmitt


Schwäbische Zeitung, 26. Februar 2019

Das Landestheater Tübingen gastiert mit "Bestätigung" im Theater Ravensburg

(von Babette Caesar)

Schon beim Betreten des Saals mit gewohntem Blick in Richtung Bühne war sofort klar, dass etwas anders ist, als erwartet. Zu beiden Seiten der Bühne Stuhlreihen, so dass die Besucher mit im Spielfeld saßen. Im Hintergrund: ein Tisch mit Kaffee und Wasser zur Selbstbedienung. Vorne Jürgen Herold vor seinem Laptop. Was geschieht inmitten dieser Versuchsanordnung?

70 Minuten lang ist Herold in die Rolle des linksliberalen Briten Chris Thorpe geschlüpft. Jung, dynamisch, weltzugewandt. Dieser Chris macht sich zu einem Experiment auf, das sein selbstgestricktes Linkssein aufs Glatteis führen soll. Dafür sucht er eine Person, die komplett anders gepolt ist. Und findet Glen. Einer, der eine ziemlich beliebte Rassisten-Website betreibe und an die Überlegenheit der weißen Rasse glaube. Diesem Glen gibt Herold seine Stimme durchs Mikrofon, wo sie lauter und durchdringender tönt, aber nicht weniger einschmeichelnd. Man würde dahinter nicht zwingend einen Rassisten vermuten.

Wenn Chris, quasi als Vorspiel, auf dem Boden drei Zahlen auslegt und die Zuschauer nach einer Regel fragt, warum es gerade diese Zahlen sind, dämmert einem, worum es geht. Um „perfekt funktionierende Gehirne“, die genau das tun, was erwartet wird. Die Regel zu bestätigen, ohne zu wissen, ob es überhaupt je eine gegeben hat. Das nennt sich „Bestätigungsfehler“. Den machte Chris anhand von Donald Rumsfelds Erkenntnis, dass es die unbekannten Dinge sind, um die wir uns Sorgen machen sollten, nochmals deutlich. Bestätigen oder ablehnen – das konnte am Abend jeder selbst an sich testen. Die Performance „Bestätigung“ ist Demokratieschulung mit den Mitteln des Theaters, ist im Programmheft nachzulesen. Hierbei bedient sich Chris dem zum Anti-Rassismus-Song gewordenen „Guilty of Being White“ (1981) der Hardcore-Punkband Minor Threat. Krawallig und ausflippend dreht er sich auf seinem Hocker, den US-amerikanischen Sänger Ian MacKaye mimend. Alle diese Versuche, sich selbst zu überlisten, scheitern. Bis Glen in sein Gesichtsfeld rückt. Er ist Nationalsozialist, zugleich charmant, intelligent, ein guter Gesprächspartner, aber ein grauenvoller Mensch. Chris hört sich seine Geschichte an, wie ihn die Armee in Nordirland konditioniert hat. Er fragt ihn nach seiner Haltung zum Terroristen Anders Breivik. Alles bleibt zwiespältig, ließe sich so oder so auslegen. Das sind die Trugschlüsse, denen wir erliegen. Chris will aufstehen und ihm sagen, dass er ihn für saudumm halte. Aber er schafft es nicht. Glen: „Dein Problem ist, dass du ein Scheißkind bist. Die Keksdose ist leer. Das negierst du – die Tatsache.“ Chris lebe in einer Scheinwelt, in der die Unterschiede zwischen den Rassen wegdiskutiert würden. Woraufhin Herold an die Zuschauer Schilder mit einzelnen Wörtern verteilt, die zusammen den Satz ergeben: „Jeder denkt, er hat recht“. Andersherum gelesen, ergibt das: „Recht hat er, denkt jeder“.

Chris geht in seinem Versuch soweit, aus sich einen Holocaust-Leugner machen zu wollen. Starben wirklich sechs Millionen Menschen in den Konzentrationslagern? Die Zahl „6“ sei als Fakt akzeptiert, aber, so der Holocaust-Leugner, es sei eine Schätzung. Würden vier Millionen einen Unterschied machen? „Nein“, kommt aus dem Publikum, darunter viele junge Menschen. Herold vermittelt einem das Gefühl dafür, wie es ist, wenn eigene Gewissheiten in Frage gestellt werden. Für das Ringen mit sich selbst, weil man es nicht erträgt.

In einer abgedunkelten, virtuellen Szene tauscht er beider Augen aus und kommt zu dem Schluss, seine Toleranz nicht an so jemanden, der sich in die politische Mitte verabschiedet und seine wahren Überzeugungen unterdrückt, verschwenden zu wollen. Welchen Sinn macht es, einen Rassisten verstehen zu wollen, beleuchtet dieses Stück. Mit einem Solisten, der diese Zerreißprobe bis an die Grenze treibt und keinen Deut weiter gekommen ist.


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Schwäbisches Tagblatt, 5. Februar 2019

Der mit dem Rassisten spricht

(von Peter Ertle)

In Chris Thorpes "Bestätigung" am LTT sucht ein Linker das Gespräch mit einem Ultrarechten und stellt dabei seine eigenen Gewissheiten infrage (was richtig ist), mehr als die seines Gegenübers (was falsch ist).

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Reutlinger Generalanzeiger, 4. Februar 2019

Der Nazi als Spiegelbild

(von Thomas Morawitzky)

Ein junger Mann, deutlich links eingestellt, will verstehen, wie die Rechte denkt. - »Bestätigung« ist eine gelungene Provokation.

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