Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann, Gotthard Sinn · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz
Martin Bringmann · Foto: Tobias Metz

Viel gut essen

Stück für einen oder viele von Sibylle Berg


Schwäbisches Tagblatt, 3. März 2017

Angst macht Wut macht Demokratie kaputt

(von Volker Rekittke)

"Das wird man doch wohl noch sagen dürfen": Martin Bringmann und Gotthard Sinnflüsterten und schrien frustriert-empörte Botschaften ins Publikum - am Mittwoch am Tübinger Landestheater in Sibylle Bergs Pegida-Stück "Viel Gut Essen".

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Reutlinger Nachrichten, 3. März 2017

Aber sie tanzen ja so anmutig

(von Jürgen Spieß)

Bleiben Respekt, Anstand und Moral in unserer Gesellschaft zunehmend auf der Strecke? Und führt die Angst vor Abstieg und Überfremdung zur Mobilmachung der Empörten und einer gefährlichen Aufweichung der Demokratie? Darum geht es in „Viel gut essen“ von Sibylle Berg. LTT-Intendant Thorsten Weckherlin hat das Stück als streitbaren Text und finstere Zeitdiagnose inszeniert.

 

Bumm, macht es jedes Mal, wenn Sibylle Berg ihre Figuren mitten im Leben kollabieren, abstürzen, explodieren lässt. In „Viel gut essen“ hat diese Figur keinen Namen, sie ist Politikverdrossener, Abgehängter, Verlassener und Wutbürger in einem. Ein Anti-Held, der wütend die Frauen und die ganze Welt schon gar nicht mehr versteht.

Dabei fängt alles ganz harmlos an: Dieser Mann im besten Alter (Martin Bringmann) steht am Herd und bereitet ein Menü für seine vernachlässigte Familie vor. Er schnippelt Gemüse, trinkt Rotwein, echauffiert sich über die klassische Musik hörenden Obermieter und macht sich Gedanken über Gutmenschen, Social-Media-Selbstinszenierer und über das Haus Europa, „ein Haufen Länder, die nichts gemein haben“.

Dies alles trägt der offensichtlich gebildete und nicht unsympathische Mann mit ruhiger Stimme und gewählter Ausdrucksweise vor. Ja, man kann einige Argumente, die er über Globalisierung, Politik(er)verdruss oder zunehmende Gewalt sagt, guten Gewissens unterschreiben. Doch bald verwandelt sich Unzufriedenheit in Wut. Der Ton wird ruppiger, frustrierter, radikaler: „Alles wird zugebaut und manipuliert, und du musst rennen, rennen, um den Anschluss nicht zu verlieren“.

Langsam wird klar: Hier klagt jemand, der mit dem Rücken zur Wand steht und bereits alles verloren hat – Familie, Job, Ansehen, Glaube an die Zukunft. Und dann will der Sohn auch noch Ballett-Tänzer werden. Das alles ist zuviel, Herr Jedermann muss diese angehäuften Portionen von Wut, Frustration und Hass herauslassen, gegen Migranten, Frauen, Homosexuelle, Muslime, Banken und andere Feindbilder.

Seine Suche nach Schuldigen wird noch angeheizt von einer mephistophelischen Figur (Gotthard Sinn), einem demagogischen „Chor des gesunden Menschenverstands“, der den Monolog des Mannes von Zeit zu Zeit mit hetzerischen Hass-Parolen von der Straße kommentiert: „Diese armen Asylanten, aber sie tanzen ja so anmutig“, krakeelt er mit zynischem Unterton. Oder er stichelt und ruft zum Aufstand der „Aufrechten“ auf: „Wir sind Bürger mit Bürgerrechten. Und die holen wir uns. Jetzt.“

Einen unsichtbaren Kokon hat dagegen dieses abgehängte Alphamännchen um sich gewoben, um seiner Angst vor einem weiteren Abstieg zu entkommen. Er wird gezeichnet als ein Abbild einer Generation, die es gelernt hat, sich im Wunderland des Selbstreferenziellen einzurichten, die aber im Endeffekt daran zerbricht: „Ich hab‘ mir den Arsch aufgerissen für meine Frau und dieses Land“, brüllt er verzweifelt, „und dann wirst du abgelegt wie eine faulige Tomate“.

Dieser selbstmitleidige Narziss lebt von billigen Schuldzuweisungen und altbekannten Klischees, und da ist es nur konsequent, dass die Inszenierung anfangs abläuft wie Easy Listening, weit entfernt und doch irgendwie nah – bis sich die Bilder verdichten und am Ende aus dem angepassten Gutmensch ein um sich schlagender Wutbürger wird. Diese Wandlung spielt Martin Bringmann mit großer Leidenschaft. Katharina Anders, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, hat die Zuschauer zudem auf zwei gegenüberliegende Tribünen platziert, was dem Blick auf dieses Häufchen Elend zusätzliche Reibung und Sprengkraft verleiht.

„Viel gut essen“ unter der Regie von Thorsten Weckherlin (Dramaturgie: Lars Helmer) setzt auf Distanz, Sinnleere und Hoffnungslosigkeit. Doch die Aufführung bietet nicht nur selbstgerechtes Schaudern. Die Beiläufigkeit, mit der Sibylle Berg diesem Herr Jedermann seinen postmodernen Hintern aufreißt, verleiht dem 70-minütigen Stück seinen Reiz. Anstand und Moral? Die bleiben dabei auf der Strecke. Was bleibt? „Ich habe eine Scheißwut“, brüllt Bringmann am Ende, „ich habe Angst!“


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Reutlinger General-Anzeiger, 3. März 2017

Wutbürger und die Brandstifter

(von Christoph B. Ströhle)

Sibylle Bergs Stück „Viel gut essen“ in der Inszenierung von Intendant Thorsten Weckherlin am LTT

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