Monster

"Dabei hat die von einem hochkarätigen Ensemble (...) präsentierte (...) Inszenierung alles, was man von gutem Schauspiel erwartet: sprachliche, musikalische und agierende Performance bis ins Detail und über die Rampe hinausgehende Bühnenpräsenz."

[...] Vor allem wenn die Monsterfrau (koboldhaft flink und funkelnd-frech: Magdalena Flade) mit großem Radau auf das Schlagzeug in der Ecke haut, fällt sie mit dem Ungestüm einer Punk-Band in den anstrengenden Alltag der Rumpffamilie ein, dem das Mädchen mühsam eine Stunde für sich selbst abgeluchst hat. In ihrer schwarzen Lederkluft ist das weibliche Monster "schlechte Fee" und anarchische Chaotin. Sie zeigt, was Duck sein könnte, wenn die 16-Jährige nicht so verantwortungsbewusst wäre. Doch die ist klug und vielleicht sogar schön, bekommt aber vom umschwärmtesten Jungen ihrer Schule ein ziemlich schräges Angebot.

Die Inszenierung von Michael Miensopust und David Pagan (auch Musik) erzählt nicht alles aus, sondern setzt auch viel auf Bilder: Für einen Moment gehört die Bühne allein dem an Multipler Sklerose erkrankten Vater.

In lila Licht getaucht, ist er in eine Marihuana-Wolke eingehüllt, als wäre er nicht ganz von dieser Welt (Bühne und Kostüme: Anne Hölck). Während man noch kurz überlegt, ob sein zotteliger grauer Haarwust angeflochten ist, dämmert einem, dass der mutterlosen Duck im Falles seines Todes nichts mehr bliebe außer dem Heim oder einer Pflegefamilie. Angelina Berger als Duck spielt diese Ambivalenz sehr nah an der wackligen Gefühlslage von Jugendlichen: zwischen Verletzlichkeit und Es-der-Welt-zeigen und auch das Zeug dazu haben. [...]

Welche Nöte eine Teenagerin plagen, deren Altrocker-Vater an Multipler Sklerose erkrankt ist, demonstriert derzeit das Junge LTT mit David Greigs Stück »Monster«. Ein deprimierender Stoff? Gar nicht, wie die Premiere am Samstagabend in der Regie von Michael Miensopust und David Pagan zeigte. Greigs Stück behandelt dieses an sich schwere Thema nämlich mit einer gehörigen Portion skurrilen schwarzen Humors.

[...] Auch wenn Duck (Angelina Berger) ihrem Vater (Rupert Hausner) viel abnehmen und ihn mehr oder weniger fast erziehen muss, kommen die beiden irgendwie zurecht. Doch ausgerechnet an dem Tag, an dem die Sozialarbeiterin (Ivonne Gläser) nach dem Rechten sehen möchte, bekommt Duke Sehschwierigkeiten. Da ist das Chaos vorprogrammiert und Duck befürchtet, dass das Jugendamt sie in Obhut gibt. Natürlich müssen ausgerechnet jetzt auch noch Dukes Onlinebekanntschaft Agneta (schön schräg: Magdalena Flade) und Ducks Schwarm Lawrence (Henry Braun) auftauchen und für zusätzliches Tohuwabohu sorgen. [...]

Das Bühnenbild (Ausstattung: Anne Hölck) besteht vorwiegend aus weißen Matratzen und großen Matratzenblöcken. Schränke, Türen und die Unordnung im Kopf und in der Wohnung können so flexibel umgesetzt werden. Die Inszenierung wartet mit vielen originellen Einfällen auf. So sorgen etwa die top aufgelegten Schauspieler selber für die von David Pagan konzipierte Musik und die Geräuschkulisse. Da wird je nach Stimmung wütend aufs Schlagzeug gehauen oder melancholisch ins Saxofon geblasen.

Durch das hohe Tempo, die leicht skurrilen aber dennoch sehr menschlichen Figuren und den überdrehten Humor wird das schwere Thema aufgefangen. Das Stück bekommt so einen sehr lebensbejahenden Grundtenor. Mit ihrer Willenskraft können die Charaktere die schwierigsten Hürden umschiffen. [...]

Das Junge LTT arbeitete zuletzt heftig an der morgigen Premiere. Am Samstag um 20 Uhr ist es jetzt so weit: "Monster" des britischen Dramatikers David Greig ist eine absurde Sozialkomödie für junge Leute ab 14 Jahren. Der Autor erhielt dafür vor zwei Jahren den Deutschen Jugendtheaterpreis. Dramaturgin Susanne Schmitt sprach mit Michael Miensopust und David Pagan (auch Brite), die als Regie-Duo das temporeiche Schauspiel auf die Bühne bringen.

Susanne Schmitt: Trotz der eher düsteren und ernsten Themen - ein junges Mädchen muss sich um ihren an Multipler Sklerose (MS) erkrankten Vater kümmern und den frühen Tod ihrer Mutter verarbeiten - ist "Monster" eine doch sehr aberwitzige Komödie. Wie passt das zusammen?

Michael Miensopust: Eine gute Komödie zeichnet sich dadurch aus, dass sie einen ernsthaften, tieferen Hintergrund hat. Und der Autor David Greig hat ein verdammt gutes Stück geschrieben über eine Eisfläche, die brechen kann. Also darüber, dass das soziale Netz sehr schnell brüchig werden kann, und es dann Lebenssituationen gibt, in denen eine Tochter ihren Vater pflegt. David Greig hat in der Vorbereitung Schüler gefragt, wie er mit diesem Thema umgehen soll und sie wollten, dass es auf jeden Fall witzig wird. Das finde ich auch, denn Lachen öffnet den Kopf und das Herz. Dadurch kann man sich den Figuren annähern, auch wenn man nicht in einer solchen Situation steckt. Das eigentliche Thema ist ja nicht die MS-Erkrankung, sondern die Geschichte einer 16-Jährigen mit allen Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens.

David Pagan: Und es gibt eine sehr komische und überraschende Liebesgeschichte, die man so nicht erwarten würde. "Monster" behandelt sehr viele Themen, die spannend und schrill erzählt werden. Das Stück ist einfach unglaublich gut geschrieben. Es kommt Liebe drin vor, Schmerz, Kummer, Peinlichkeit und Scham, Sex, Tod, Erniedrigung und Katastrophe. Und ein kleines bisschen Sozialismus!

Wer oder was sind denn die titelgebenden "Monster"?

Miensopust: Die Monster sind eine Metapher für Dinge, die man nicht ausdrücken kann, die man verdrängen möchte, das Schweigen, die Pause zwischen den Worten. Und es spielt eine alte Ducati Monster 796 eine wichtige Rolle, ein italienisches Kult-Motorrad. Das kommt auch auf die Bühne - wie, da darf man gespannt sein ...

Herr Pagan, Sie sind als Musiker und Komponist auch für den Klang der Inszenierung verantwortlich.

Pagan: Musik spielt immer eine große Rolle - auch als Sinnbild für alles, was man fühlt und nicht mit Worten ausdrücken kann. Die Schauspieler machen selbst Musik, also Punk. Es wird laute Musik, aber auch leise Musik geben, Musik zum Nachdenken und Musik zum Finger-in-die-Ohren-stecken. Musik, die nichts bedeutet und Musik, die alles bedeutet. Musik zum Wegwerfen und Musik zum Immer-wieder-hören.