Raphael Westermeier, Carolin Schupa · Foto: Tobias Metz
Carolin Schupa, Raphael Westermeier · Foto: Tobias Metz
Andreas Guglielmetti, Carolin Schupa, Jennifer Kornprobst, Raphael Westermeier · Foto: Tobias Metz
Carolin Schupa, Jennifer Kornprobst, Raphael Westermeier · Foto: Tobias Metz
Raphael Westermeier, Carolin Schupa, Jennifer Kornprobst · Foto: Tobias Metz
Raphael Westermeier, Jennifer Kornprobst, Andreas Guglielmetti, Carolin Schupa· Foto: Tobias Metz
Carolin Schupa, Andreas Guglielmetti · Foto: Tobias Metz
Andreas Guglielmetti, Jennifer Kornprobst, Raphael Westermeier, Carolin Schupa · Foto: Tobias Metz
Raphael Westermeier, Andreas Guglielmetti, Jennifer Kornprobst · Foto: Tobias Metz
Raphael Westermeier, Thomas Zerck · Foto: Tobias Metz
Raphael Westermeier · Foto: Tobias Metz

Geächtet

Schauspiel von Ayad Akhtar Deutsch von Barbara Christ


Reutlinger Nachrichten, 17. Oktober 2016

Gemetzel um Kunst, Koran und Kategorien

(von Kathrin Kipp)

Während Lessings „Nathan der Weise“ noch versucht, alle drei Religionen irgendwie miteinander zu versöhnen, ohne sie grundsätzlich in Frage zu stellen, ist die kulturell-religiöse Gemengelage in dem international vielfach ausgezeichneten Ayad Akhtar-Stück „Geächtet“ (aus dem Jahr 2011) schon weitaus komplexer. Während die Protagonisten zwischen all den kulturellen Möglichkeiten und Zwängen noch ihre eigene Identitätsmischung optimieren wollen, zeigt das Stück, wie schnell die Stimmung kippen kann, wie schnell man selbst als aufgeklärter Mensch irgendeinem rassistischen Wahn verfallen kann, wie schmal der Grat zwischen ernsthafter Religionskritik und populistischem Rassismus ist, wie schnell wir wieder in längst verschüttete Muster fallen und wie unsere Denke immer noch zutiefst von alten Vorurteilen geprägt ist. Und was ein für brüchiges Konstrukt doch unsere Zivilisation ist – da erinnert das Stück schwer an „Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza.

Der erfolgreiche Anwalt Amir versucht seine religiöse Herkunft abzustreifen, wird aber immer wieder von ihr eingeholt. „Nicht alle sind frei, die ihre Ketten verspotten“, sagt Recha noch im „Nathan“. Und auch Amir versinkt immer mehr in den Strudel von Herkunftsidentität, Zwängen und Klischees, je mehr er versucht, sich von seiner islamischen Erziehung abzugrenzen und sich dem amerikanischen Leistungslifestyle zu unterwerfen. Mit seiner weiß-protestantischen, islamophilen Frau Emily trifft er auf den aufgeklärten jüdischen Kunstförderer Isaac und dessen afroamerikanische Frau Jory: eine ziemlich explosive Mischung, bei der es am Ende dann auch erwartungsgemäß mächtig knallt. Nicht nur, weil sich im Lauf des Abends tiefste kulturelle Gräben auftun, sondern auch wegen der ganzen zwischenmenschlichen Sache. Hormone und so. Und so wird der Schlagabtausch immer hitziger und die Protagonisten rutschen auf ihren Vorurteilen, mühsam zusammengeschusterten Identitäten und tief versteckten Rassismen aus. Es zeigt sich, dass die strukturell benachteiligte Jory ihren Mentor Amir beruflich hintergangen hat, dass Isaac mit Emily eine Affäre hatte, und dass Amir aufgrund eines Gefallens für seinen Neffen nun öffentlich quasi als Terrorhelfer gilt. Er rastet aus, schlägt seine Frau, verliert alles: Frau, Job, Wohnung. Und zieht in den Wald.

Ein unterhaltsamer, knackiger Schlagabtausch mit jeder Menge Koran-, Kunst- und Kategoriendiskussionen. Und toll, wie sich das Ensemble unter der Regie von Sascha Bunge messerscharf psychologisch in die Figuren hineinspielt. Raphael Westermeier hat als Amir eine ungeheure Allergie gegen alles Islamische, Traditionelle und seine reaktionäre Mutter. Gleichzeitig ist er zerrissen zwischen seinen kulturellen Gefühlen, seinen Befreiungsbemühungen und der zarten Vorahnung, dass sein strikt karriereorientierter Lebensstil vielleicht auch nicht allzu heilbringend ist. Wie er sich businessmäßig verrenkt und abrackert: am Ende alles umsonst. Und so legt er im Verlauf des Abends eine 180-Grad-Wende hin und verwandelt sich genau in das Klischee vom rasenden, beleidigten Moslem, gegen das er sein Leben lang angekämpft hat. Das ist natürlich alles andere als politisch korrekt, aber mit seiner Satire teilt Ayad Akhtar ja nach allen Seiten hin kräftig aus.

Es menschelt sehr. Carolin Schupa spielt die aufgeklärte Bildungsbürgerin, die sich über ihren Ehemann ein Dasein als Künstlerin leisten kann. Vor lauter intellektueller Aufgeschlossenheit (oder um ihren Mann zu ärgern?) schwärmt sie mit ihrer Kunst für die islamisch-orientalische Tradition mit ihrer Formsprache aus starren Mustern und Wiederholungen, die für die Auslöschung von Individualität und die Unterwerfung unter was auch immer steht.

Bühnenbildnerin Angelika Wedde hat ihr ein verkasteltes, streng vermustertes Atelier geschaffen, analog zum jeweiligen Kastensystem, nach dem jeder den anderen einzuordnen versucht.Emilys Förderer, der sanfte Isaac (Andreas Guglielmetti), findet alles ganz toll, was Emily so von sich gibt, aber natürlich nur, weil er auf sie steht. Da wird nicht nur das Künstlerische, sondern auch das banale Zwischenmenschliche lächerlich gemacht. Der Kunstbetrieb ist aber nicht nur geschwätzig, sondern tendenziell auch rassistisch, findet wiederum Jennifer Kornprobst als ebenfalls leicht entzündliche Jory.

Am Ende fährt jeder nur noch seinen eigenen Film. Amir ist gänzlich überfordert von den vielen Bezugspunkten, zwischen denen er sich verliert. Aus diversen Bühnenteilen baut er sich deshalb eine Hütte und schmiert sich mit weißer Farbe ein, als auch schon sein mittlerweile radikalisierte Neffe Abe (Thomas Zerck) aufkreuzt und ihn bekehren will. Am Ende weiß keiner mehr so genau, wer er ist und wo‘s lang gehen könnte.


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Schwarzwälder Bote, 11. Oktober 2016

Dilemma: Absturz zwischen Boulevardkomödie und Beziehungsdrama

(von Christoph Holbein)

Der Zugang zum Schauspiel »Geächtet« von Ayad Akhtar am LTT fällt überaus schwer

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Schwäbisches Tagblatt, 4. Oktober 2016

Des Selbstvernichtungsteufels Advokat

(von Wilhelm Triebold)

LTT-Premiere II: In der Werkstatt hat das Tübinger Landestheater mit Ayas Akthars Ausgrenzungsdrama "Geächtet" am Samstag, einen Tag nach dem misslungenen "Nathan", ein glücklicheres Händchen

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Reutlinger General-Anzeiger, 4. Oktober 2016

Seiten einer Medaille

(von Heiko Rehmann)

Ayad Akhtars Stück »Geächtet« am LTT

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