Wenn Menschen so weit voneinander entfernt sind wie der 16-jährige Leo (Andreas Laufer) und der alte Leo (Rupert Hausner), ist beunruhigend offen, was passiert, wenn sie aufeinander losgelassen werden. Das preisgekrönte Jugendstück "Das Herz eines Boxers" von Lutz Hübner (Deutscher Jugendtheaterpreis 1998) lebt von dieser Konfrontation und lotet aus, was trotz der gegenseitigen Vorbehalte überhaupt möglich ist. Am Freitagabend war Premiere am Jungen LTT, der Kinder- und Jugendbühne des Landestheaters Tübingen.
Es klingt nicht gut, wie Jojo sich Zutritt zum Heimzimmer des alten Mannes verschafft. Rrrrums, geht die Tür auf, und es ist, als würde mutwillig die letzte Barriere niedergerissen, die den Alten vor unwillkommenen Eindringlingen und Übergriffen von Dritten schützt.
Leo wirkt viel älter als Ende 60, wie er da völlig gebeugt und teilnahmslos auf einem Kliniknachtschränkchen sitzt. Er ist in einem Zustand, bei dem man sich fragt, ob ihn daraus überhaupt noch irgendjemand oder irgendetwas zurückholen kann. Als wäre er von der Welt zurückgelassen worden auf einer Bühne, die sehr nach Anstalt aussieht.
Es wirkt so, als würde es im Zimmer des Alten nie richtig hell. Die Wände sind untenherum gekachelt, obenherum in einem nervigen Grün gestrichen, was treffend die frustrierende Atmosphäre nachbildet (Bühne und Kostüme: Christine Brunner-Fenz).
Die lastende Trostlosigkeit, die von dem reglosen Greis ausgeht, ist so durchdringend, dass am Anfang (als nur der Junge redet) fast jedes Wort zu viel ist: "Also eins sag' ich dir, bevor ich mal in so 'nem Rentnerknast lande, bringe ich mich um." Das klingt ein bisschen klischeehaft. Trotzdem halten beide Schauspieler die Spannung in der Szene (Hausner als stummer Alter vielleicht noch mehr). Man könnte sich gut allein auf die Haltung der beiden, ihre Blicke oder ihre Verweigerung und auf den anstaltsartigen Raum konzentrieren. Die scheinbar unüberwindliche Fremdheit, die zwischen den beiden spürbar wird, ist wie ein Abgrund - man kann auch erschrecken darüber.
Dabei hat der Junge bei allem Frust - ein Jugendrichter hat ihn nach einem Mofa-Diebstahl zu Sozialstunden verknackt - auch etwas Unbezähmbares, Keckes. Das macht Hoffnung, obwohl er definitiv kein Zivildienstleistender ist (die es ja nicht mehr gibt) oder sonstwie sozial motiviert.
Andererseits steckt auch im alten Leo viel mehr als die teilnahmslos-verstockte Hülle, die er nach außen präsentiert. Der ehemalige Preisboxer hat im Ring gelernt, auszuteilen. Und er hat seinem jugendlichen Renovierer wider Willen auch eine Menge Lebenserfahrung voraus. So entwickelt sich gegen beträchtliche Widerstände die ungewöhnliche Freundschaft zweier Loser. Als Zweipersonenstück konzipiert, ist es dennoch bezeichnend, dass außer Jojo nie jemand im Zimmer des Alten vorbeischaut.
Für Tübingen entdeckt hat den Stoff, der sich als realistische Variante des Kinohits "Ziemlich beste Freunde" interpretieren lässt, schon vor ein paar Jahren die Theaterpädagogin Helga Kröplin. Sie hat das Stück am Generationentheater Zeitsprung inszeniert.
Unterm Strich
Zeigt die unwahrscheinliche Freundschaft zwischen einem trübsinnigen Alten und einem vom Abrutsch gefährdeten Jugendlichen - und erweckt nebenbei die Sehnsucht, dass es so etwas in der Realität geben möge, nicht nur im Theater oder auf der Kinoleinwand. Überzeugend gespielte Annäherung wider Willen, bei der die Kontrahenten gleichermaßen vom jeweils anderen überrascht werden.